Ob es eine gute Idee war, eine Geschichte über die Zeit schreiben zu wollen? Eine Geschichte über das Zeit-Verlieren und das Zeit-Gewinnen? Vielleicht nicht. Trotzdem - eine Zeitlang gefiel mir diese Idee, und vor mir selbst tat ich so, als würden mich die Ausmaße des »Themas« Zeit nicht im geringsten schrecken. Ein bißchen naiv, dachte ich, darf ich mich als Geschichtenerzähler vielleicht stellen. Ich tue einfach so, als hätte sich seit langem niemand mehr mit der Zeit beschäftigt, als wäre ich vielleicht sogar der erste, der auf diese GUTE IDEE kommt, als wüßte ich nicht, daß sich die Zeit in letzter Zeit nachgerade zu einem Modethema entwickelt hat.
Ich wollte mich ja auch nicht mit
der Zeit
in der ganzen Erstreckung ihrer PROBLEMATIK beschäftigen. Mich
interessierte
vor allem eines an ihr: ihre Knappheit. Diese Knappheit ist, wie wir
alle
wissen, eine Folge des unaufhaltsamen Vergehens der Zeit und hat seit
jeher
in nicht wenigen Menschen den Wunsch geweckt, die Zeit am Verschwinden
zu hindern, sie zum Stillstand zu bringen, verlorene Zeit
zurückzuerobern
oder gar Zeit zu gewinnen. Und so sollte meine Geschichte
anfangen:
So verfällt Anrath eines
Morgens, zwischen
Halbschlaf und Erwachen, während Regine neben ihm noch
nichtsahnend
schlummert, auf den Gedanken, daß die Verbindung mit einer
jüngeren
Frau eine solche aufschiebende Wirkung haben könnte. Seit er sich
mit Regine zusammengetan hat, ist er, außer für die
Paßbehörde,
in jeder Hinsicht immer so alt gewesen wie sie. Wenn er sich nun mit
einer
Frau zusammentäte, die jünger ist als Regine und jünger
als er selbst, dann wird, so rechnet er sich aus, vielleicht das
gleiche
geschehen, nur in umgekehrter Richtung, nach der dem Tod abgewandten
Seite
des Lebens. Wieder wird er sich so alt fühlen wie die Frau, mit
der
er zusammenlebt, aber diesmal eben nicht älter, als er auf dem
Papier
ist, sondern jünger, so jung wie diese Jüngere. Je
jünger
sie ist, desto größer sein Zeitgewinn.
Alles geriet in Bewegung,
als Eos
erschien - durch die Hintertür zunächst: nicht als
gegenwärtig
agierende, lebendige Gestalt, sondern als Figur, von der in einer alten
Erzählung die Rede ist.
Wo bin ich Eos und ihrer
Geschichte zum
erstenmal begegnet? Ich weiß es nicht mehr, obwohl es doch erst
ungefähr
zweieinhalb Jahre her ist. Bei Ranke-Graves vielleicht? In seiner Griechischen
Mythologie? Oder in der Götterlehre von Karl Philipp
Moritz?
Im Band 44 - »Ti« bis »Trao« - von Zedlers Universallexikon
aus dem Jahre 1745 habe ich sie unter dem Stichwort
»Tithon«
dann auch noch nachgeschlagen:
Von Eos wollte ich mehr als einen Kurzauftritt in einer »Geschichte in der Geschichte«. Sie sollte eine Hauptrolle übernehmen. Konnte sie nicht den Platz der Jüngeren einnehmen? Wenn Eos doch über die Fähigkeit verfügte, Sterbliche unsterblich zu machen, konnte sie auch Anrath den Wunsch, Zeit zu gewinnen, nach Belieben erfüllen und war insofern eine ideale Besetzung.
Aber es wäre keine Geschichte daraus geworden! Ein Wunsch, kaum empfunden und geäußert, findet seine Erfüllung. Ein Sterblicher, von Zeitgeiz geplagt, findet diejenige, die ihm besser helfen kann als jede andere. Die Wege sind gebahnt. Was soll sich da verknäulen und entwickeln? Alles paßt von Anfang an - wie zurechtgelegt. Keine Hemmung, kein Widerstand, keine wirkliche Spannung, selbst wenn der Zeitgewinn Anrath am Ende nicht zum Heil ausschlagen würde, wenn Eos wieder, wie schon im Fall des Tithonos, vergessen sollte, ihm mit dem ewigen Leben auch die ewige Jugend zu schenken.
Oder sollte Anrath den Platz des Tithonos einnehmen? Auch das schien möglich, auch das habe ich versucht. Ich habe begonnen, die alte Geschichte neu zu erzählen, sie in die Gegenwart zu transponieren, habe die Geschichte aus Anraths Perspektive skizziert: Wie er seit langem mit einer Frau mehr oder minder einträchtig zusammenlebt - von Kalkül und Zeitbesorgnissen ist nun nicht mehr die Rede -, wie ihn die Göttin eines Morgens erspäht, wie sie sich ihm zu erkennen gibt, wie sie versucht, ihn für sich zu gewinnen, indem sie ihn mit der Aussicht auf Unsterblichkeit lockt, wie sie sich, als er Zweifel anmeldet, auf ihre »Verbindungen nach oben« beruft und behauptet, ihm, Anrath, die Unsterblichkeit zu verschaffen, sei KEIN PROBLEM. Anrath läßt sich darauf ein und bekommt irgendwann die Rechnung präsentiert - er altert, wird unansehnlich, und Eos verbannt ihn, in ein Gitterbett oder in eine Gartenhütte oder auf einen Vergnügungsdampfer, auf dem er, die Welt umschiffend, älter und älter wird - das alles, wie gesagt, aus Anraths Perspektive erzählt, in der Ichform und im Tempus der Vergangenheit. Auch daraus ist nichts geworden. Anrath blieb eine blasse Figur, und ich hatte mir einen Haufen Probleme allein schon dadurch eingehandelt, daß meine Göttin sich hinstellen und kühn behaupten konnte, sie habe KEINE. Wenn ihr die eigene Göttlichkeit und die eigenen übermenschlichen Fähigkeiten unproblematisch erschienen, so bereiteten sie mir desto mehr Schwierigkeiten. Da war viel zu erklären, viel zu motivieren, viel anschaulich und glaubhaft zu machen. Es herrschte plötzlich mehr Unwahrscheinlichkeit, als zu bewältigen mir reizvoll oder möglich erschien. Die Arbeit ging mir zäh von der Hand, während ich diese Perspektive und diese Fassung ausprobierte. Meine Geschichte schleppte sich dahin. Von dem leichten, beflügelten Gang, den ich ihr wünschte, war sie weit entfernt.
Manchmal ist Schreiben wie mißmutiges Scharren mit der Fußspitze im Sand - ein Grübeln und Brüten, bei dem nichts Gutes herauskommt. Soweit sich überhaupt Ideen und Einfälle zeigen, kreisen sie in den Warteschleifen des Zweifels, kümmern sich nicht darum, Landerlaubnis zu erhalten, bekommen auch keine und stürzen zuletzt in unwegsamem Gelände ab, wo man sie nur schwer bergen kann. Ungefällte Entscheidungen türmen sich und quälen. Die Befangenheit wächst.
Zu anderen, ausgeschlafenen, besseren Zeiten dagegen ist Schreiben wie Spazierengehen auf dem Papier - oder auf der Tastatur des Computers. Da gewinnen die Wörter und Wendungen, mit einer Jazz-Vokabel ausgedrückt: swing - eine Leichtigkeit, die erst einmal vorwärts und ins Weite will und sich getraut, das Kontrollieren oder Korrigieren auf später zu verschieben. Diesen Schwung, diesen Über-Mut, diesen Leicht-Sinn brauchte ich (und viel davon), um die Geschichte meiner Göttin voranzubringen. Und Eos brauchte die gleichen Qualitäten, um eine wirkliche Göttin zu werden. Denn nicht in übernatürlichen, unaussprechlich tiefen und mysteriösen Geheimqualitäten sollte ihr höheres Wesen sich bekunden. Auch nicht in den bekannten Universaltugenden jüdisch-christlicher Göttlichkeit: Allmacht, Allwissenheit, Allgegenwart. Von alledem haben die griechischen Götter seit Alters her ohnehin kaum etwas besessen und Eos auf ihrem verlorenen Posten in der Gegenwart schon gar nicht. Ihre Göttlichkeit sollte sich vielmehr in ihrem Erfindungsreichtum bekunden, in dem Leicht-Sinn und dem Über-Mut, mit denen sie den Mann ihres Gelüsts durch Einfälle, Lügen, Geschichten für sich einzunehmen versucht. Ihm gegenüber ist sie tatsächlich in einer ganz ähnlichen Lage wie der Autor gegenüber seinen Lesern. Und das wesentliche Merk-Mal oder Symptom der Unsterblichkeit, die Eos ihrem Geliebten schließlich zu verschaffen versucht, ist eben jene Ausgeschlafenheit, die mir selbst immer die wichtigste Voraussetzung für die Arbeit an ihrer Geschichte zu sein schien.
In Bewegung kam die Arbeit an »Eos´ Gelüst« in dem Augenblick, als ich aus lauter Verzweiflung über mein und Anraths Auf-der-Stelle-Treten den Versuch machte, die Geschichte aus der Perspektive von Eos zu erzählen - nicht in der Ich-Form, sondern in der dritten Person, aber konsequent aus ihrem Blickwinkel, in Kenntnis ihrer Gefühle, als ein Mitwisser ihrer Empfindungen, Absichten, Besorgnisse, Sehnsüchte und Ängste, der über den Mann ihres Wohlgefallens nicht mehr weiß als sie.
Mit der Perspektive veränderte ich auch das Tempus. Ich wechselte ins PRÄSENS - sozusagen in den Modus der göttlichen Gegenwart. Die Vergangenheit als Erzählzeit schien mir plötzlich ganz unbrauchbar. Von welchem Punkt aus hätte ich rückschauend die Geschichte einer Unsterblichen im Präteritum denn erzählen sollen? Das Präsens hingegen hatte von Anfang an etwas Beflügelndes und Erleichterndes für mich. Was die Zukunft für meine Figuren bereithielt, lag kaum fest. Ich machte mich zusammen mit Eos auf den Weg ihrer Geschichte, nicht wissend, was unterwegs alles geschehen würde. Erobern, für sich gewinnen würde sie Anrath. Vielleicht würde sie ihn auch unsterblich zu machen versuchen. Soviel glaubte ich zu wissen. Aber WIE würde sie ihn gewinnen? Wie ihn unsterblich machen? Und WAS DANN? Ich war selbst gespannt und neugierig. Aber ich wußte zu Beginn der Arbeit keine Antwort auf diese Fragen, und auch sechs Wochen, bevor das Manuskript wirklich fertig war, wußte ich noch nicht, wie die Geschichte zwischen den beiden »ausgehen« würde. Eindreiviertel Jahre habe ich im freien Vorbau daran gearbeitet. Es war ziemlich riskant, und oft entnervend - je länger die Ungewißheit dauerte, desto mehr. Bis zuletzt stand alles auf dem Spiel. Bis zuletzt konnte, wenn ich den richtigen, den passenden, den überzeugenden, den zufriedenstellenden Ausgang nicht finden würde, noch alles schief gehen.
Aber die Entscheidung für die Perspektive von Eos und für das Präsens war wie ein Ruck. Ich wußte plötzlich: Wenn etwas daraus wird, dann so!
Viel Schwung war nötig für den Anfang und den Fortgang - viel Leicht-Sinn und Über-Mut. Nur keine Angst, die Glaubensbereitschaft der Leser zu strapazieren! sagte ich mir. Mundus vult decipi - die Welt will getäuscht werden, also soll sie getäuscht werden, am liebsten durch die Kunst. Wenn Salman Rushdie zwei Männer aus einem explodierenden Flugzeug auf die Erde und in seine Satanischen Verse stürzen, gleiten, fliegen lassen kann, zwei Männer, die sich im freien Fall noch höchst angeregt miteinander unterhalten - warum soll ich dann nicht in die Luft über mir greifen, mit einer Göttin in der Hand zurückkehren und sie gleich auf der ersten, der schrecklich leeren, ersten Seite meines Buches absetzen. Nur ja nichts motivieren in diesem ersten Augenblick der Geschichte, dachte ich, keine Zaghaftigkeit, keine umständlichen Erläuterungen, warum es diese Göttin in unserer Gegenwart noch gibt. Erklärungen haben Zeit, die können, wenn nötig, nachgereicht werden. Für´s erste muß genügen: SIE IST DA. Also Behauptung, Beschwörung, Setzung - dreimalige Anrufung ihres Namens: Eos - ja, Eos, die rosenfingrige, gelbgewandete Eos... So beginnt der erste Satz, in dem Eos auf dem Balkon ihres Apartments im achten Stock eines Hochhauses am Rand der Stadt sichtbar wird - und noch in diesem ersten Satz gebe ich an meine Göttin eines der »Probleme« zurück, die ich selbst mit ihr hatte, eines, das nun wieder ihres ist: eben dieser kurze, wie eine Abkürzung, wie eine technische Formel klingende Name. An meiner Stelle schlägt nun sie sich damit herum und bringt auf diese Weise ihre Geschichte in Gang. Ein Trick, der sich auch an anderen Stellen als produktiv erwiesen hat: eine Schwierigkeit, eine Irritation, eine Unwahrscheinlichkeit, die nach einem regulierenden Eingriff, einer einsamen Entscheidung des Autors zu verlangen scheint, in die Geschichte verlegen und dort sich entwickeln lassen. Der Name Eos klingt an diesem Morgen in Eos´ Ohren so hohl, weil sie unzufrieden mit ihrer Einsamkeit ist. Übrigens wurde mir erst, als Eos da auf ihrem Balkon steht und mit ihrem göttlichen Namen hadert, klar, daß sie noch einen zweiten Namen für die irdische Wirklichkeit brauchte. Ein bißchen schämt sie sich hienieden ja ihrer Göttlichkeit. Jedenfalls lebt sie incognito in ihrem Hochhausapartment. Zu dem bürgerlichen Namen, den ich ihr zudachte, - Emily O´Sterne - verhält sich »Eos« nun tatsächlich wie eine Abkürzung, ein Akronym. Eos selbst weiß nichts von einem gewissen Laurence Sterne. Sie hat ihren Namen aus der Luft gegriffen und bedauert diesen Griff schon seit langer Zeit, weil sie immer wieder allen möglichen Leuten mit umständlichen Lügengeschichten erklären muß, warum sie einen irischen Namen trägt, obwohl doch kein englischer oder gälischer Akzent in ihrer Sprache anklingt. Ich hingegen habe den Namen Sterne mit Vorbedacht ins Spiel gebracht, weil ich meiner Geschichte jene schwebende, zwei- bis dreideutige Leichtigkeit wünschte, die Laurence Sternes Sentimental Journey oder Empfindsame Reise zu einem so wunderbaren Roman macht.
So tauchten nach und nach aus den Tiefen und Untiefen der Geschichte die Schwierigkeiten, Widerstände und retardierenden Elemente auf, die aus dem vormals planen Ablaufschema etwas machten, das mir erzählenswert schien: Eos hadert nicht nur mit ihrem Namen. Sie hadert überhaupt mit ihrer Situation. Ihre Verbindungen nach oben sind abgerissen. Die da oben sind eingeschlafen, und hier unten muß sie allein zurechtkommen. Sie kann sich auf höhere Mächte nicht verlassen. Sie ist ihrer Kräfte durchaus nicht sicher, muß zu Künsten und Kniffen, zu Listen und Lügengeschichten greifen, um das zu erlangen, wonach es sie gelüstet. Und die Männer, die sie in letzter Zeit noch für sich zu gewinnen vermochte, bilden bei unverblendeter Betrachtung eine absteigende Linie: an Schönheit nehmen sie nicht zu, an Witz nur in seltenen Fällen, und jener Paul Anrath, den sie aus der Ferne, von der Höhe ihres Balkons erblickt hat, erweist sich bei näherem Hinsehen als ein besonders unbeflügelter, schwer zu ermunternder Mensch. Er sperrt sich gegen Eos´ Avancen. Er stellt sich taub gegen ihre Lockungen. Er will nichts von ihr. Alles, was dieser Anrath in den früheren Fassungen seiner Geschichte einmal von den Möglichkeiten des Zeitgewinnens mit Hilfe von Frauen wußte, hat er inzwischen gründlich vergessen. Er knausert mit seiner Zeit, wie die meisten von uns es tun. Das ist alles. Er zaudert, bleibt verstockt, hat eine Freundin, mit der er, wie es scheint, zufrieden zusammenlebt. Nachbarliche Hilfsbereitschaft ist das äußerste, wozu er sich unbedrängt entschließen mag. Eos muß sich - davon lebt die Geschichte - viel einfallen lassen, um Anrath aus der Reserve zu locken. Die Unsterblichkeit selbst muß sie ihm aufdrängen - heimlich unterschieben. Er ahnt ja nicht, daß er es mit einer Göttin zu tun hat, und Eos weiß: er würde ihr nicht glauben, wenn sie sich ihm offenbarte.
Sie nötigt ihn zu einer geringfügigen Gefälligkeit und drängt ihm schließlich auch ihre Dankbarkeit noch auf: zum Lohn für die Hilfe beim Transport eines Teppichs will sie ihn zeichnen und ihm (oder seiner Freundin Charlotte) das Bild nachher schenken. Zeichnen ist in ihren Augen nämlich eine (nicht die einzige) Form von »Verewigen«.
Die Aussicht, der dankbaren Zeichnerin stundenlang Modell stehen zu müssen, begeistert Anrath nicht. Doch schließlich willigt er ein - und nun läßt Eos nicht mehr locker. Es gelingt ihr, ihn in ihrem Wagen zu entführen. Sie brauche, behauptet sie, ein anderes Licht, um ihn zu zeichnen, ein besseres Licht, als es in ihrer Wohnung oder auf dem Balkon herrsche, ein Licht, wie es nur außerhalb der Stadt zu finden sei. Anrath läßt sich widerstrebend darauf ein.
Für diese Entführung lieh ich Eos der Einfachheit halber meinen eigenen Wagen - einen Peugeot, den ich vor ein paar Jahren gebraucht gekauft hatte und der sich nun als ein großer Gewinn für meine Geschichte erwies. Im wirklichen Leben hatte ich mich in letzter Zeit viel über ihn geärgert. Er sprang bei nassem Wetter oft nicht an, aber wenn er ansprang, dann lief der Motor rund und schnurrte, als sei er fest entschlossen, nie und nimmer alt zu werden. Genauso verhält es sich in der Literatur nun auch mit Eos´ Peugeot, hier jedoch mit weiterreichendem Effekt: in ihren Ohren klingt das Schnurren des Motors wie eine Verheißung jener unverwüstlichen Langlebigkeit, die sie sich für Anrath so dringend erhofft. Aber noch folgenreicher für das Buch waren zwei technische Errungenschaften, mit denen dieser Wagen ausgestattet war: das Automatikgetriebe und die Zentralverriegelung, die nun auch Eos zugute kamen. So eine Zentralverriegelung scheint eine begehrenswerte Sache zu sein. Aber ich hatte den Peugeot aus zweiter Hand nicht ihretwegen gekauft - die Zentralverriegelung war da und kam einfach mit, als ich mich für ihn entschied. Für Eos jedoch wäre der Wagen ohne diese Zentralverrieglung so gut wie unbrauchbar gewesen! Erst durch sie wird er nämlich zum »engen Raum« par excellence! Wo Eos mit einem schönen Sterblichen in einen engen Raum gerät, da wird sie leicht von einer seltsamen Verwirrung befallen - in einer Aufzugkabine, einer Telefonzelle, im Viertel einer Drehtür oder eben in einem Auto. »Jetzt kann niemand mehr zu uns hinein!« sagt sie, nachdem sie Anrath den Mechanismus erklärt hat. Aber Anrath, noch längst nicht gewonnen, fragt nur mißtrauisch zurück: »Und hinaus?«
Was nun das Automatikgetriebe angeht, das mich seinerzeit vom Kauf des Wagens beinahe abgehalten hätte, weil ich befürchtete, die Umgewöhnung werde mir schwer oder lästig werden - so war auch dieses Wunder der Technik Eos hochwillkommen. Dank der Automatik braucht sie kaum zu schalten. Wenn Eos ihren Wagen nicht gerade durch enge Ortschaften oder enge Kurven lenkt, liegt ihre rechte Hand frei und müßig da, von Anrath nur so weit entfernt, wie der Graben zwischen Fahrer- und Beifahrersitz breit ist. Kurzum, das Automobil, zu dessen Kauf ich mich einst nur zögernd durchgerungen hatte, erwies sich Jahre später für den Fortgang meiner Geschichte als mindestens ebenso nützlich wie bisher schon für mein Fortkommen im täglichen Straßenverkehr.
Eos´ Gelüst ist es, die Nähe schöner Sterblicher zu gewinnen. Mein Gelüst während der Arbeit an ihrer Geschichte war es, aus nichts ETWAS zu machen - in die Luft zu greifen und mit dem, was ich dort zu fassen bekam, ein Spiel zu treiben, in dem ein Gespinst, ein Nichts Körper gewinnt und zugleich doch seine Leichtigkeit, Flüchtigkeit, Flugfähigkeit behält.
Es gibt eine Szene in diesem Buch,
in der
ich versucht habe, dieses Spiel selbst sichtbar zu machen und
gleichzeitig
auf die Spitze zu treiben. Ort der Handlung ist ein See mit
Gaststätte,
an den Eos Anrath unter dem Vorwand des Zeichnens entführt hat.
Hier
tischt ihm Eos eine offensichtlich erlogene Geschichte auf: eine Elster
habe ihr die Autoschlüssel gestohlen, behauptet sie, und nun
bliebe
ihnen - ihr und Anrath - gar nichts anderes übrig, als die Nacht
in
dieser Gaststätte zu verbringen.
Aber es ist auch wie eine Vertreibung aus dem Paradies. Gerade gegen Ende der Arbeit, wenn der Bogen geschlagen ist, wenn es um die Frage von Gelingen oder Mißlingen (zumindest für mich) nicht mehr geht, kann ich mich in dem, was ich da auf dem Papier, auf dem Bildschirm, geschaffen habe, bisweilen so wohl fühlen, kann mich - bessernd, straffend, dichtend, putzend oder einfach nur lesend - so angenehm zwischen Szenen und Seiten, zwischen Worten und Dialogen ergehen, daß ich mich gar nicht trennen mag, daß die Aussicht, alles das hinter mir zu lassen, alles das abschließen und Eos verlassen zu müssen, durchaus nicht erfreulich ist, sondern geradezu deprimierend. Aber auch darin besteht wohl die Aufgabe des Autors: die Welt im Buch, die er erzeugt hat, loszulassen, sich selbst daraus zu verabschieden, sich arbeitslos und darin überflüssig zu machen, hinauszutreten - das Haus, den Garten, das Paradies zu verlassen und hinter sich nicht abzuschließen, die Tür vielmehr offen zu lassen oder anzulehnen, damit andere, die Leser, wenn sie möchten, eintreten, sich umsehen, sich darin niederlassen können.
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Anfang von Eos´s
Gelüst.