The Rain
The rain it raineth every day,
Upon the just and unjust fellow
But more upon the just, because
The Unjust has the just´s umbrella. (1)
Dieser Regen wird in unserem Vierzeiler als eine ihrem Wesen nach demokratische Witterungserscheinung dargestellt. Genauer gesagt, der Regen erscheint als großer Gleichmacher - er macht die Tage gleich, an denen er fällt; und er macht die Menschen gleich, auf die er fällt. Die erste Verszeile steht ganz im Zeichen der Monotonie des Tag für Tag fallenden Regens, die zweite im Zeichen seiner egalitären Tendenz, die keinen Unterschied zwischen Mensch und Unmensch macht.
Andererseits kann man den wettergeplagten Engländern keinen Vorwurf daraus machen, daß sie gegen die Fluten des Himmels aufbieten, was ihnen ihre Sprache nur immer an nässeabweisenden Versen zur Verfügung stellt, zumal sie trotz aller Reimkünste noch mit einem reichlichen Restregen zu kämpfen haben, gegen den sie im Laufe der Jahrhunderte verschiedene andere Sprüche ersannen, die sich indessen alle als wenig wirkungsvoll erwiesen.
Dieser Regenschirm ist nun auch der eigentliche Held unseres Gedichts - und nicht etwa der Regen, den der Titel hervorhebt. Der Regen ebnet, wie wir festgestellt haben, den Unterschied zwischen Mensch und Unmensch ein, obwohl ein solcher Unterschied - das sagt uns unser moralisches Bewußtsein - doch unbestreitbar vorhanden sein muß. Aber erst der Regenschirm läßt diesen Unterschied deutlich sichtbar werden.
Die Ungleichheit zwischen Mensch und Unmensch besteht nämlich darin, daß der Mensch naß wird, weil er keinen Schirm hat, während der Unmensch offenbar im Schutze eines Schirms geborgen steht. Bei diesem Schirm handelt es sich nicht um seinen eigenen, sondern um den des Menschen. Wie aber ist der Schirm aus der Hand des Menschen in die des Unmenschen gelangt? Anzunehmen, diesem Vorgang liege ein Eigentumsdelikt zugrunde, scheint mir voreilig und vordergründig. Das Gedicht selbst spricht jedenfalls nicht von einem Diebstahl, sondern konstatiert einfach, daß sich der Schirm des Menschen in den falschen Händen befindet. Was hat es damit auf sich?
Dieses letztere, daß der Schirm sich unsichtbar zu machen weiß und von jedermann fortwährend vergessen wird, ist gewiß sein tückischster Charakterzug. Indem er sich vergessen läßt und die Vergeßlichkeit seines Besitzers auf seine hinterhältige Art und Weise zu immer neuen Höchstleistungen anspornt, gelingt es ihm nämlich, die Fundamente der bürgerlichen Rechtsordnung und Wohlanständigkeit selbst zu unterminieren. Wir alle haben schon einmal irgendwo einen Schirm stehen lassen, wir wissen, was dies für uns wie für andere bedeutet und welche Folgen es hat, wenn immer und überall irgendwelche Schirme stehenbleiben - es bedeutet, daß wir uns, ob wir wollen oder nicht, in moralische Fragen von erheblicher Ausstrahlung und Tragweite verstricken, bis wir erschreckt an uns selbst feststellen, wie die Grenze zwischen Mensch und Unmensch in Fließen gerät. Denn der Mensch, der selbst bereits mehrere Schirme - er weiß nicht, wo - verloren hat, gerät, wenn er die wachsende Zahl von Parapluies betrachtet, die im Laufe der Zeit in seinem Vestibül gestrandet sind, irgendwann an die Grenzen der eigenen Rechtschaffenheit, er wird zum Unmenschen und vergreift sich an fremdem Eigentum.
(1) Eine
Hilfsübersetzung: Der
Regen: Der Regen regnet Tag für Tag / Auf Mensch und
Unmensch
nieder. / Doch naß wird immer nur der Mensch, / Der Unmensch
nämlich
gibt ihm seinen Schirm nicht wieder. Zurück
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