Verstreute Werke :::::::::::::::::::::
          Reinhard Kaisers Elektroarchiv

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          Witze und Wunden
          Über Nancy Mitford und ihre Romane

          Auf der Höhe ihres schriftstellerischen Ruhms, im Jahre 1953 oder 1954, erhielt Nancy Mitford einen Brief aus New York, in dem sie gebeten wurde, für den ersten Ergänzungsband eines amerikanischen Lexikons über die Literatur des 20. Jahrhunderts eine autobiographische Skizze beizusteuern. Aber Nancy Mitford mochte die Amerikaner, um es vorsichtig auszudrücken, nicht besonders - noch weniger als die Deutschen. Als Käufer ihrer Romane waren sie ihr natürlich willkommen. Aber die amerikanische Literaturkritik hatte sich daran gemacht, in ihren Romanen nach tieferem Sinn zu suchen, und war nicht recht fündig geworden. Die Rezensenten vermißten eine moralische Botschaft, mißbilligten den Leichtsinn dieser Bücher, tadelten ihre Frivolität, kurzum, sie legten jene gouvernantenhafte Haltung an den Tag, die Nancy Mitford dazu brachte, die Amerikaner allesamt als "Govs" zu bezeichnen. Und denen mochte sie über sich selbst nichts preisgeben, ohne sie auf den Arm zu nehmen. Ob die Lexikon-Redaktion in New York es bemerkt hat? Sie ließ jedenfalls den Text, den Nancy Mitford ihr schließlich übermittelte, anstandslos drucken.

          "Mein Vater war der zweite Sohn eines englischen Peers; meine Mutter war eine Schönheit. In England bekommen nachgeborene Söhne kein Geld, und so wurde ich in einem armen Londoner Slum geboren. Da mein Vater unbedingt sieben Bluthunde und ein Pony zum Reiten für mich halten wollte, herrschte ein ziemliches Gedränge. Doch während des ersten Krieges gegen die Deutschen fiel der älteste Bruder meines Vaters, und mein Vater wurde Lord Redesdale. Danach lebten wir in einem geräumigen Haus in den Cotswold-Bergen. Ich hatte fünf Schwestern und einen Bruder. Mein Vater und meine Mutter, beide selbst ungebildet, waren gegen Bildung, und uns Mädchen wurde auch keine zuteil, wenngleich man uns Reiten und Französischsprechen beibrachte. Mein Bruder ging nach Eton.
             Ahnungslos wie eine Eule wuchs ich auf, wurde in London in die Gesellschaft eingeführt und besuchte zahllose Bälle. Hier lernte ich Menschen kennen, die ganz und gar nicht ahnungslos waren - ich freundete mich mit einem Kreis von Leuten an, zu dem die Herren Henry Green, Evelyn Waugh, John Betjeman, Sir Maurice Bowra und der brillante Lord Berners gehörten (der auf eigenen Wunsch als Lord Merlin in meinem Roman Englische Liebschaften auftritt). Sehr bald wurde ich ein intellektueller Snob. Ich versuchte mich selbst zu bilden, las sehr viel und schrieb einige mittelmäßige Romane. Ich heiratete einen Mann, dessen Lieblingslektüre die griechischen und römischen Klassiker sind.
             Als der Krieg ausbrach, wurde ich Leiterin der Buchhandlung Heywood Hill, da Mr. Hill selbst zum Militär einberufen worden war. Zum erstenmal in meinem Leben arbeitete ich hart und zu regelmäßigen Zeiten; ich kann nicht sagen, daß es mir gefiel, aber die Disziplin, der ich mich unterwerfen mußte, machte es mir möglich, viel bessere Bücher zu schreiben. Der Roman Englische Liebschaften, den ich 1945 schrieb, wurde sofort ein Bestseller. Ich verließ die Buchhandlung und ging nach Paris, wo ich mich auf Dauer angesiedelt habe und weiter an meiner Bildung arbeite." (1)
           
          In seinen Hauptzügen und den Eckdaten vermittelt dieses Selbstporträt durchaus einen Eindruck vom Lebensweg und Bildungsgang einer Autorin, deren Bücher damals in aller Munde waren. Aber nicht alle Angaben halten einer näheren Prüfung stand, und viele Akzente sind ein wenig sonderbar gesetzt - sonderbar bis zur Irreführung! Etwa der Hinweis auf den klassikerliebenden Ehemann. Mag sein, daß Peter Rodd, mit dem Nancy Mitford seit 1933 verheiratet war, die antike Literatur liebte - vor allem aber liebte er andere Frauen, so sehr, daß Nancy bald gar nicht mehr verstand, warum er sie und sie ihn überhaupt geheiratet hatte. Jedenfalls lebten die beiden schon in der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg getrennt, und als Nancy ihre Notiz für das amerikanische Lexikon schrieb, wollte sie von ihrem Ehemann nur noch eines: die Scheidung, die 1957 schließlich auch zustande kam.
          Doch wie immer es um den Wahrheits- oder Halbwahrheitsgehalt einzelner Sachaussagen bestellt sein mag - diese autobiographische Notiz zeugt von einem Charakterzug Nancy Mitfords, der für ihren Umgang mit Menschen und für ihr Schreiben gleichermaßen prägend war, von dem Vergnügen, mit dem sie immer wieder daran ging, andere Leute, Freunde, Bekannte, Angehörige, die Empfänger ihrer Briefe, die Leser ihrer Romane oder, wie in diesem Fall, die amerikanischen Lexikographen und deren Leser in ihren Witz zu verwickeln. Sie zeugt von ihrer Lust an dem, was die Engländer teasing nennen - das bedeutet: Hänseln, Aufziehen, Necken, Frotzeln, auf den Arm nehmen, stichelnder Witz, gewitztes Sticheln.

          In London kam Nancy Mitford tatsächlich zur Welt - am 28. November 1904. Insoweit treffen ihre Angaben zu. Aber das Haus, in dem sie aufwuchs, lag keineswegs in einem Slum, sondern in einer zwar nicht besonders vornehmen, aber auch nicht besonders verkommenen Wohngegend, und zum Haushalt gehörten schon damals, als ihr Vater noch nicht Lord Redesdale, sondern David Mitford hieß, immerhin fünf Dienstboten. Über die Geburt von Nancy, hat sich dieser Vater sehr gefreut, obwohl er sich schon bei diesem ersten Mal, wie später jedesmal, wenn seine Frau schwanger wurde, einen Sohn erhoffte. In diesem Punkt sollte er im Laufe der Jahre noch fünfmal enttäuscht werden. Einmal allerdings erfüllte sich seine Hoffnung. Tom nahm in der Reihe der Kinder den dritten Platz ein. Vor ihm kam die zweite Tochter zur Welt, für Nancys Entwicklung, wie es scheint, ein besonders schwerer Schlag.
              Wenige Tage vor ihrem dritten Geburtstag, verlor sie von heute auf morgen innerhalb der Familie die bevorzugte Stellung des allseits angebeteten Einzelkindes. Pamela, die erste Schwester, war da, und das Kindermädchen der Mitfords übertrug seine ganze Liebe sogleich auf das Neugeborene. Nancy erhob ein so anhaltendes Geschrei, daß sich die Mutter bald genötigt sah, eine neue "Nanny" einzustellen, die eher imstande war, ihre Zuneigung gleichmäßig auf die Kinder in ihrer Obhut zu verteilen. Doch zu spät. Die kleine Nancy hatte schon begonnen, an der noch kleineren Pamela grausame Rache zu nehmen, und hörte so bald nicht mehr auf damit. Wo sich eine Chance bot, der Jüngeren einen Spaß zu verderben, wurde dieser Spaß verdorben, mit einem Einfallsreichtum, dem die arme Pam nicht gewachsen war und von dessen einschüchternder Wirkung sie sich auch später nie ganz erholt hat. Die Sache wurde nicht besser, als weitere Geschwister in Erscheinung traten, der Bruder Tom und die Schwestern Diana, Unity, Jessica und Deborah. In der Abgeschiedenheit des Landsitzes, den die Familie bewohnte, nachdem der Vater geerbt hatte, waren die Jüngeren in wechselnden Verbindungen füreinander Spielkameraden. Nancy indessen blieb ziemlich isoliert, weil sie es nicht lassen konnte, immer wieder ihre schärfste Waffe blitzen zu lassen, das spöttische Gestichel, das Frotzeln und "Lästern" - eben das teasing. Eine der Leidtragenden, Nancys zweitjüngste Schwester Jessica, berichtet darüber in ihren Erinnerungen:

          Nancy war zu scharfzüngig und sarkastisch, als daß sie über längere Zeit die Lieblingsschwester von einem von uns hätte sein können. Ganz plötzlich konnte sie einen aus ihren durchdringenden smaragdgrünen Augen ansehen und sagen: "Ab mit dir ins Schulzimmer; wir alle haben jetzt wirklich genug von dir." Und wenn man sich besonders viel Mühe mit den Ringellöckchen gegeben hatte, brachte sie es fertig zu sagen: "Du siehst heute aus wie die älteste und häßlichste der Brontë-Schwestern." (2)

          Ihre drei jüngsten Schwestern traktierte sie einmal mit der Bemerkung: "Ist euch eigentlich schon aufgefallen, wie scheußlich die mittleren Silben eurer Vornamen klingen - Nit, Sic und Bor?" (3)  Und schon heulten sie los - Unity, Jessica und Deborah. Denn nit bedeutet im Englischen Schwachkopf, sick soviel wie Kotze, und ein bore ist ein Langweiler.
             Grausame Scherze, herzlose Reden, gewiß - doch zeugen sie von einem nicht unbeträchtlichen Witz, und es scheint so, als wäre aus dem, was für das friedliche, tränenfreie Zusammenleben im Hause Mitford nicht förderlich gewesen sein kann, der Literatur zuletzt ein großer Gewinn erwachsen. Der Blick für die Stelle, an der der andere durch ein Wort oder eine knappe Bemerkung zu treffen ist, der Sinn für den richtigen Zeitpunkt, an dem eine solche Pointe lanciert werden muß, damit sie ihre größtmögliche Wirkung entfaltet, das Geschick, die rhetorischen Stichelwaffen immer wieder neu anzuspitzen - das alles sind Fertigkeiten, die Nancy Mitford im Kinderzimmer entwickelt hat und die ihren Romanen sehr zugute gekommen sind. Und fast scheint es, als sei die Lust am Frotzeln für Nancy Mitford der eigentliche oder jedenfalls ein wichtiger Ansporn zum Schreiben gewesen.
             Aus der Zeit, in der sie an ihrem ersten Buch arbeitete, das dann, übrigens ohne viel Aufsehen zu erregen, 1931 erschien, berichtet ihre Schwester Jessica:

          Monatelang saß Nancy am Kamin im Salon und wußte sich vor Kichern kaum zu lassen, während ihre seltsam dreieckigen, grünen Augen vor Vergnügen blitzten und ihr dünner Stift die Linien eines Schulheftes entlangflog. Manchmal las sie uns ein Stück daraus vor. "Das kannst du nicht unter deinem Namen veröffentlichen", erklärte meine Mutter entrüstet, denn nicht nur notdürftig verkleidete Tanten, Onkel und Freunde der Familie bevölkerten die Seiten von Highland Fling, überlebensgroß trat darin auch unter dem treffenden Namen "General Murgatroyd" unser Vater, genannt Farve, auf. ... Der General war als ein begeisterter Veranstalter von Jagdgesellschaften porträtiert - ein Mann von ungestümem Temperament, der Schrecken aller Hausmädchen und Wildhüter, der die meiste Zeit damit verbrachte, auf die Hunnen [also die Deutschen] zu schimpfen und über verschiedene blasierte, junge Ästheten in pastellfarbenen Seidenhemden herzuziehen... Das seltsame Kauderwelsch meines Vaters - "Verdammter Gulli!" - "Das stinkt zur lieben Hölle!" - und sein Abscheu gegen alles, was nach Literatur und Kunst schmeckte, waren sehr gut getroffen. (4)

          In der Zeit zwischen den Weltkriegen, vor allem gegen Ende der zwanziger und zu Beginn der dreißiger Jahre, erlebte der Witz in Englands Oberklasse und zumal in deren jugendlicher Fraktion eine Hochkonjunktur. Unter kreischendem Gelächter, klatschsüchtig, modebewußt und affektiert, setzte sich da eine jeunesse dorée von der Generation der Eltern, vom Biedersinn und von der Prüderie der viktorianischen und edwardianischen Ära ab. Bright Young Things nannten sich die extravaganten jungen Leute. Und Lord Redesdale konnte schon die gemäßigten Exemplare dieser Spezies, die Nancy bisweilen nach Swinbrook einlud, nicht ausstehen. Vom Krieg, vom Jagen und anderen outdoor-Vergnügungen wollten diese Schnösel und diese jungen Dinger nichts wissen. Statt dessen amüsierten sie sich im Salon mit Geplauder über Leute und Literatur und heckten ihren nächsten Streich aus. "Wir hatten ein absolut wildes Wochenende", schrieb Nancy über eine dieser Partys an ihren Bruder Tom. "Ehrlich, soviel habe ich noch nie gelacht. Wir entwickelten einen fürchterlichen Haß auf Prinzessin Elizabeth ... Wir streuen  jetzt überall das Gerücht aus, sie habe Schwimmhäute zwischen den Zehen."
             Der Witz war für Nancy Mitford aber nicht nur Instrument der Selbstbehauptung gegenüber den Geschwistern und nicht allein ihr wirksamstes Mittel in der Auseinandersetzung mit dem herrschsüchtigen, zu unberechenbaren Wutanfällen neigenden Vater. Nicht nur andere Personen in ihrer Umgebung versuchte sie, mit seiner Hilfe zu bändigen oder in Schach zu halten. Auch den eigenen Schmerz, die Kränkungen, die ihr widerfuhren, hat sie durch Witz niederzuzwingen versucht. Nicht die Ohren oder, wie die Engländer sagen, die Oberlippe steif halten, sondern einen Witz machen - darin vor allem sah Nancy Mitford ein Mittel, Unglück und Kummer zu bewältigen.
             Etwa jene Verwundungen, die sie in ihrer ersten Liebe zu einem jungen Mann erlitt. Hamish St. Erskine war selbst ein witziger Kopf, ein unterhaltsamer, von Einfällen und blitzenden Formulierungen sprühender Gesprächspartner. Aber er hatte nicht die Absicht, sich im Ernst auf Nancy einzulassen. Über fünf Jahre hin zog sich die Kette der Verlobungen, der Zerwürfnisse und dramatischen Trennungen, bis Nancy schließlich erkannte, daß Hamishs homosexuelle Tendenzen keine vorübergehende "Phase" bildeten, sondern einer dauerhaften Orientierung entsprachen. An einem der vielen Tiefpunkte dieser quälenden Beziehung wollte sich Nancy, die damals im Haus einer Freundin in London wohnte, das Leben nehmen. In einem Brief an einen Freund schreibt sie darüber:

          Ich habe versucht, Selbstmord zu begehen, mit Gas, es ist ein angenehmes Gefühl, wie wenn man Betäubungsmittel bekommt, also werden mir von nun an die Lehrerinnen nicht mehr leid tun, die sich auf diese Weise umbringen, aber mittendrin fiel mir ein, daß Romie, bei der ich wohne, vielleicht eine Fehlgeburt haben würde, was für sie eine große Enttäuschung wäre, also legte ich mich wieder ins Bett und habe mich übergeben ... Ich bin wirklich sehr unglücklich, weil niemand da ist, dem man die komischen Dinge erzählen kann, die einem zustoßen, und darin besteht doch der halbe Spaß des Lebens, nicht wahr? (5)

          Nicht nur im wehrhaften, verwundenden Witz, auch im Witz der Verzweifelung, im Witz, der die eigenen Wunden zudeckt, hat es Nancy Mitford im Laufe ihres Lebens weit gebracht. Dieses Leben war keineswegs so munter und sorgenarm, wie man nach einem flüchtigen Blick auf ihre "leichten" Romane vermuten könnte. Es war über größere Strecken, namentlich, was das Verhältnis zu den Männern anging, sogar ziemlich traurig. Auf die katastrophale Beziehung zu Hamish St. Erskine folgte die unglückliche Ehe mit Peter Rodd. Und die große Liebe ihres Lebens, die sich schließlich doch noch einstellte, galt einem Mann, der diese Liebe zwar so erwiderte, wie Nancy Mitford es sich wünschte, für den sie aber trotzdem immer nur eine Geliebte blieb, eine unter mehreren.

          ***

          Als sie ihn kennenlernte, während des Zweiten Weltkriegs in London, hatte es die Familie Mitford längst zu einer ominösen Bekanntheit in der englischen Öffentlichkeit gebracht. Nancy selbst hat an der Kette der Skandale, die sich im Laufe der dreißiger Jahre mit dem Namen Mitford verbanden, nur geringen Anteil gehabt. Sie machte sich vor allem lustig über das Treiben einiger ihrer Schwestern und bemerkte erst spät, daß dort wo politische Exzentrik in Wahn umschlug, auch ihr eigener Witz an eine Grenze stieß.
             Ihre Schwester Diana - dies war der erste Skandal - trennte sich 1932 von dem Mann, den sie 1929 geheiratet hatte, von Brian Guiness, dem Erben des Brauerei-Imperiums, dem Vater ihrer Kinder, weil sie in Liebe zu Oswald Mosley entbrannt war, dem Gründer der "British Union of Fascists", der sich von seinen Getreuen in getreuer Übersetzung aus dem Deutschen als "Leader" bezeichnen ließ. Auch die noch jüngere Schwester Unity wurde vom Eifer für den Faschismus ergriffen und machte Ernst mit einem Vorsatz, den sie schon im Kinderzimmer in Swinbrook gefaßt hatte: nach Deutschland gehen und den Führer kennenlernen. Die Geschichte, wie sie diesen Plan in die Tat umsetzte, ist lang und grotesk. Sie ließ sich von ihren Eltern einen Sprachkurs in München bezahlen, besuchte dort regelmäßig die Osteria Bavaria, wo Hitler mit anderen Nazi-Größen verkehrte, und starrte den Führer so lange an, bis er sie eines Abends an seinen Tisch bitten ließ.
             Hitler war entzückt. Unity sah nicht nur gut aus, sie stammte auch aus dem englischen Hochadel und gab sich überdies sogleich als glühende Faschistin zu erkennen. Hitler erkannte ihren propagandistischen Wert und hatte nichts dagegen, daß sie sich von diesem Tag an so oft als möglich und für die Öffentlichkeit diesseits und jenseits des Ärmelkanals gut sichtbar, in der Nähe Hitlers zeigte, bei den Nürnberger Parteitagen, bei den Olympischen Spielen und anderswo. Es kam so weit, daß Lord Rededale sich genötigt sah, gegenüber der Presse seines Landes eine bevorstehende Verlobung seiner Tochter mit Herrn Hitler zu dementieren.
             Jessica Mitford, die im Gegensatz zu ihren übrigen Schwestern damals mit dem Kommunismus sympathisierte und ihrerseits für Schlagzeilen sorgte, als sie Anfang 1937, noch minderjährig, von daheim ausriß, um mit einem Neffen von Winston Churchill auf der Seite der Republikaner am Spanischen Bürgerkrieg teilzunehmen, hat in ihren Memoiren beschrieben, wie Nancy auf die faschistischen und antisemitischen Neigungen ihrer Schwestern Unity und Diana reagierte:

          Nancy machte wie üblich einen Witz aus der ganzen Sache; sie behauptete, sie habe im Stammbaum unserer Familie eine jüdische Urgroßmutter mit Namen Fish entdeckt, und drohte Unity und Diana, die darüber furchtbar wütend wurden, sie werde das Gerücht ausstreuen, wir alle seien zu einem Sechzehntel Juden. (6)

          Nach dem Krieg, als das ganze Ausmaß der faschistischen Barbarei sichtbar wurde, fand auch Nancy Mitford solche Witze nicht mehr komisch. Den 1935 erschienenen Roman Wigs on the Green, in dem sie die "British Union of Fascists" und einige ihrer eifrigsten Mitglieder auf den Arm genommen hatte, wollte sie um keinen Preis noch einmal gedruckt sehen, als ihr Verleger Hamish Hamilton seiner inzwischen zum literarischen Star aufgestiegenen Autorin die Zustimmung zu einer Neuauflage ihrer verschollenen Romane aus der Vorkriegszeit abzugewinnen versuchte. An Evelyn Waugh, ihren Freund und Ratgeber in literarischen Dingen, schrieb sie 1951: "Wigs on the Green ist absolut unmöglich. Es ist seither soviel geschehen, daß Witze über die Nazis nicht mehr komisch, sondern nur noch geschmacklos wirken. Immerhin ist das Buch 1934 geschrieben, ich konnte wirklich nicht voraussehen, was danach noch alles passieren würde." (7)
             Nancy Mitford besaß ein scharfes Auge für das Charakteristische und das Absonderliche ihrer Zeit, ihrer Klasse und ihrer Gesellschaft, aber in politischen Dingen war sie naiv, und in dem, was sie hier an Evelyn Waugh schreibt, könnte man eine Art Eingeständnis ihrer Naivität sehen. Man hat an ihren Romanen, auch in neuerer Zeit und nicht nur in Amerika, zuweilen das Fehlen einer Botschaft bemängelt - in Deutschland vor allem auch das Fehlen einer Auseinandersetzung mit der politischen Wirklichkeit ihrer Zeit. Man hat ihr vorgeworfen, sie habe in ihren Romanen ein verklärtes Bild ihrer Familie geliefert. Sie habe den düsteren Hintergrund, vor dem sich das Treiben der Lords und Ladies und ihrer Nachkommen in der Realität abspielte, den politischen Wahnwitz und die politische Schuld in ihrer Familie verschwiegen. Geschwiegen hat sie tatsächlich. Aber wohl nicht, um zu vertuschen (nach soviel Publicity gab es nichts mehr zu vertuschen), sondern vielleicht aus einer Art intuitiver Weisheit - weil sie nach ihrer politischen Groteske Wigs on the Green erkannte oder spürte, daß gerade jenes literarische Instrument, das sie mit der größten Meisterschaft zu handhaben wußte, der Witz in seinen vielfältigen Spielarten, für die Auseinandersetzung mit dem Faschismus nicht taugte. Jedenfalls nicht in ihren Händen.

          Während des Zweiten Weltkriegs lernte Nancy Mitford in London einen gebildeten, charmanten und auf charmante Weise von sich selbst eingenommenen Franzosen kennen und verliebte sich in ihn. Gaston Palewski war ein enger Mitarbeiter von Charles de Gaulle, der damals, nach der Kapitulation Frankreichs, aus dem Londoner Exil den Widerstand der "Freien Franzosen" gegen die deutsche Besetzung zu organisieren versuchte. Die politische Lage schien hoffnungslos. Die Aussicht auf eine Befreiung Frankreichs war in weite Ferne gerückt. Aber es gab viel zu tun, und Palewski war von früh morgens bis in den späten Abend in Carlton Gardens, dem Londoner Hauptquartier de Gaulles, beschäftigt. Schon in der ersten Zeit ihrer Liebe zu Gaston Palewski verbrachte Nancy mehr Zeit mit Warten auf ihren "Colonel" als mit ihm selbst. Daran änderte sich auch später, nach dem Ende des Krieges nichts, obwohl sie, sobald die Umstände es erlaubten, nach Paris übersiedelte, um in seiner Nähe zu sein. Sie hat mit ihm nie unter einem Dach gelebt, und sie akzeptierte die Begründung, mit der er dem Gedanken an eine Heirat auswich. Eine geschiedene Frau, eine Engländerin zudem, könne er mit Rücksicht auf seine politische Karriere einfach nicht heiraten. So bedrückend und demütigend der Status der heimlichen, gleichsam auf Abruf bereitstehenden Geliebten eines vielbeschäftigen Politikers, der obendrein noch ein notorischer Frauenverehrer war, in vieler Hinsicht sein mußte - Nancy Mitford hat die durch keinerlei gemeinsame Alltäglichkeit verringerte Distanz, die zwischen ihr und Gaston Palewski bestehen blieb, wie es scheint, nicht nur erlitten, sondern auch genossen. Diese Distanz mußte immer wieder aufs neue überbrückt werden - durch Unterhaltsamkeit, durch Witz. Daß Palewski von Nancys Kümmernissen nichts wissen wollte, entsprach in gewisser Weise ihrer eigenen Neigung, Wunden durch Witze zu überdecken. Ihre Kümmernisse langweilten den "Colonel". "Des histoires!" forderte er. Geschichten! Er war ein anspruchsvoller Mann, wenn es um Geschichten ging, und an Selbstbewußtsein fehlte es ihm nicht. "Sie werden nie einen guten Roman schreiben, in dem ich nicht vorkomme", sagte er einmal zu Nancy - und hat Recht behalten, oder vielmehr: sie hat ihn Recht behalten lassen, indem sie ihm tatsächlich in jedem der vier äußerst erfolgreichen Romane, die sie nach dem Zweiten Weltkrieg veröffentlichte, einen Auftritt verschaffte, zweimal in einer zentralen, zweimal in einer Nebenrolle - zunächst unter dem Namen Fabrice, Duc de Sauveterre, später als Charles-Edouard de Valhubert. Den ersten dieser Romane, der ihren literarischen Ruhm begründete, Englische Liebschaften oder In Pursuit of Love, Ende 1945 erschienen, hat sie Gaston Palewski auch gewidmet.
             Harold Acton, Nancy Mitfords erster Biograph, hat über Englische Liebschaften geschrieben:

          Dieses Buch, obgleich ohne intellektuellen Anspruch geschrieben, werden die Historiker als ein authentisches Zeugnis einer bestimmten Ära der englischen Zivilisation und des gesellschaftlichen Lebens auf den Landsitzen des Adels noch zu Rate ziehen, wenn ambitioniertere soziologische Romane längst in staubigen Regalen vermodern. (8)

          Tatsächlich ist das, was wir in diesem und den anderen "unpolitischen" Gesellschaftsromanen von Nancy Mitford über die Gesellschaft, in der sie sich auskannte und in der sie sich bewegte, und über die nicht immer bloß feine englische Art erfahren, in hohem Maße aufschlußreich. Aufschlußreich ist auch, was sie, vor allem in ihren beiden letzten Romanen, mit feinem Gespür für die feinen Unterschiede, die die Eigenart und den Charakter benachbarter und doch verschiedener Zivilisationen ausmachen, über die Nähe und die Ferne zwischen England und Frankreich zu sagen hat. Aber nicht allein und nicht in erster Linie die Aufschlüsse, die sie dem Leser bieten, sondern (wie es sich für die Kunst gehört) vor allem die Art, in der sie dies tun, machen die Romane von Nancy Mitford - außer Englische Liebschaften auch Liebe unter kaltem Himmel aus dem Jahre 1949, Ein Segen für die Liebe von 1951 und Die Frau des Botschafters aus dem Jahre 1960 - zu einer Lektüre, die bis heute nichts von ihrer Ergötzlichkeit verloren hat.

          Nancy Mitford starb vor zwanzig Jahren, am 30. Juni 1973, in Versailles bei Paris. Sechs Jahre vor ihrem Tod, an Allerseelen 1966, zählte sie in einem bekümmerten Brief an einen Bekannten, Christopher Sykes, die Namen einiger verstorbener Freunde auf, die ihr besonders nahe gewesen waren und ihr nun besonders fehlten:

          Ich denke heute an Robert Byron - an meinen Bruder Tom, an Victor Cunard, Mrs. Hammersley, Evelyn Waugh und Roger Hinks. Es sind die Menschen, mit denen man durch Witze verbunden ist, die man nachher am meisten vermißt - die Liebenswürdigen, die Guten und Aufrechten viel weniger. (9)

          Ergeht es uns Lesern mit den Büchern nicht oft ganz ähnlich? Die guten und aufrechten, die wohlmeinenden, rechthabenden und tiefen unter ihnen, die halten wir in Ehren. Die sind uns wertvoll und teuer. Aber jene, die sich durch ihren Witz mit uns verbinden, die lieben wir - zumindest vermissen wir sie, wenn sie uns abhanden kommen, mehr als jene anderen.
             Einer altehrwürdigen Theorie zufolge bringt der Witz das weit Auseinanderliegende auf überraschend kurzem Weg zusammen. Er schlägt Verbindungen, wo die meisten lange Gedankenstrecken vor sich sehen, die abzuwandern mit Mühe verbunden ist. Der Witz findet - uns zum Vergnügen und zur Lust - Abkürzungen, ist schneller am Ziel einer Einsicht, einer Behauptung, eines Urteils, als es auf den geregelten Bahnen der Sammlung und Verknüpfung von Gründen, Indizien, Beweisen, Gesichtspunkten oder Geschichten je möglich wäre. Der Preis der Kürze des Witzes besteht darin, daß seine Einsicht, seine Behauptung, sein Urteil am Ende punktförmig dastehen, als Pointe - ohne Stütze, Netz und Sicherheit. Ein ausgemachter Leicht-Sinn! Leute, die sich auf ihren Fleiß und ihre Gründlichkeit etwas zugute halten, werden da leicht mißtrauisch. Sie machen dem Witz diesen Leichtsinn und seine Mühelosigkeit, seine Leicht-Fertigkeit, zum Vorwurf. Er sei nicht mit Arbeit verbunden, wenden sie ein. Aber das ist nur allzu oft ein Mißverständnis. "Wenn die Leute wüßten", schrieb Nancy Mitford einmal, "wie mühselig und was für eine Plackerei das Bücherschreiben ist, würden sie nicht immer in dieser albernen Weise so tun, als beneideten sie einen!" (10) Denn Witz ist durchaus mit Arbeit verbunden. Leicht und leichtfertig wirkt er erst, wenn diese Arbeit getan ist, wenn sie, unsichtbar gemacht, hinter ihm liegt. Es ist die Arbeit, die Nancy Mitford in ihren "leichten" Romanen auf sich genommen hat, die Arbeit, aus gewöhnlicher Weitschweifigkeit Kürze, aus alltäglicher Schwere Leichtigkeit zu gewinnen und obendrein die eigenen Wunden und Kümmernisse so zu verpflegen und zu verbinden, daß dem Selbstmitleid keine Chance bleibt, das Werk des Witzes und der Kunst in Weinerlichkeit und Larmoyanz zu ertränken.
           

          Fußnoten
          1) Twentieth Century Authors. 1st Supplement, hrsg. v. S. J. Kunitz, New York: Wilson 1955, S. 677f.   2) Jessica Mitford, Hons and Rebels, London: Victor Gollancz 1960, S. 36   3) Selina Hastings, Nancy Mitford. Eine Biographie, Frankfurt: Frankfurter Verlagsanstalt 1992, S.52   4) Jessica Mitford, Hons and Rebels, S. 30f.   5) Zit. n. Hastings, S. 97   6) Jessica Mitford, Hons and Rebels, S. 80   7) Zit. n. Hastings, S. 129, Fn. 6   8) Harold Acton, Nancy Mitford. A Memoir, S. 59   9) Zit. n. Acton, S. 175   10) Zit. n. Hastings, S. 282.
           

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          Leicht gekürzte Fassung eines Radio-Essays für den Süddeutschen Rundfunk, S2 Kultur, Erstsendung  8. Juni 1993, abgedruckt in der Frankfurter Rundschau, 3. Juli 1993.