Königskinder.
Eine wahre Liebe Schöffling & Co., Frankfurt am Main 1996 Erw. Neuausgabe 2004 128 S., geb., mit 20 Abb., €16,90 ISBN 978-3-89561-064-6 Übersetzungen |
S. 7ff.: Ich war nicht auf der Suche nach Geschichten, als ich die ersten Briefe von Rudolf Kaufmann an Ingeborg Magnusson fand - im Mai 1991, bei einer Briefmarkenauktion in Frankfurt. Vor der Auktion ließ ich mir von den mehr als siebentausend angebotenen Losen zehn oder zwölf zeigen, die ich mir im Versteigerungskatalog angekreuzt hatte. Das Los Nummer 6673 war in diesem Katalog so beschrieben: »Deutschland ca. 1890-1955, reichhaltige ungebrauchte, postfrische bzw. gestempelte Zusammenstellung mit auch Bündelware sowie Karten, Briefe und Paketkarten vom Deutschen Reich etc. in unterschiedlicher Erhaltung, enorm hoher Katalogwert! Limit DM 500,-«
Eine Pappschachtel, wie sich bei der Besichtigung zeigte, gefüllt mit Alben, Steckkarten, Pergamintüten und Zigarrendosen voller Briefmarken. Zwischen allerlei Massenware und einigen philatelistischen Besonderheiten stieß ich auf einen Stapel von ungefähr dreißig Umschlägen, alle vom gleichen Absender in Königsberg und einigen anderen deutschen Städten zwischen 1935 und 1939 aufgegeben, alle an die gleiche Empfängerin unter der stets gleichen Stockholmer Adresse gerichtet. In den Kuverts steckten noch die Briefe.
Zu ausgiebigem Lesen reicht bei der Besichtigung vor einer
Auktion die
Zeit nicht. Aber schon ein kurzes Auseinanderfalten von zwei oder drei
dieser Briefe zeigte, daß in ihnen von einer Liebe in der Zeit
vor
dem Zweiten Weltkrieg ausgiebig die Rede war. Mehr wußte ich
nicht,
als ich beschloß, den Versuch zu machen, die Pappschachtel mit
allem,
was sie enthielt, Marken, Geschichte und Geschichten, zu erstehen.
Bei der Versteigerung zeigte sich dann, daß das Interesse an
dem Los mit der Nummer 6673 beträchtlich war. Es entbrannte das,
was
Briefmarkenversteigerer in ihren Ergebnisberichten gern eine
Bieterschlacht
nennen. Allein um der Marken willen hätte ich nicht über das
Doppelte des Ausrufpreises hinaus mitgehalten. Die Neugier auf die
Briefe
jedoch erlahmte auch jenseits des dreifachen Limits nicht. Aber je
länger
ich meine Karte mit der Bieternummer hochhielt, desto weniger verstand
ich, wie jemand ohne mein doppeltes Motiv, Marken und Geschichte, den
Preis
für dieses Los derart in die Höhe treiben konnte. Zuletzt
hatte
ich es mit einem einzigen hartnäckigen, obendrein für mich
unsichtbaren
Gegner zu tun. Der Auktionssaal hatte die Form eines »L«.
Ich
saß im langen, mein Gegner im kurzen Balken des L, während
der
Auktionator hinter seinem Pult im Winkel dieses »L« stand
und,
abwechselnd auf mich und jenen anderen deutend, seinen Abzählvers
aufsagte, die Zahlenreihe, die sich in monotonen und zugleich
entnervenden
Fünfzigersprüngen auf Zweitausend zubewegte.
Marken haben ihre Marktpreise. Manche mögen selten sein, aber einmalig sind die allerwenigsten. Für Marken werden Phantasiepreise kaum je gezahlt. Wer aber für eine Geschichte, die er nicht kennt, überhaupt etwas zahlt, ob viel oder wenig, der zahlt immer einen Phantasiepreis. So auch ich an jenem Samstagnachmittag im Mai 1991.
Ich trug den Karton, den ich ersteigert hatte, nach Hause - gespannt, was er enthalten würde, aber nicht darauf gefaßt, daß es eine Geschichte war, die mich für Jahre nicht mehr loslassen sollte.
Mina lilla kaere Ingeborg, Da wirst Du mich ja trotz aller Schönheit Venedigs nicht vergessen haben und Deinen Aufenthalt in Bologna. Die beiden schönen Tage, die stecken mir noch ganz im Blute. Sie waren nur zu kurz. Das einzige, was mir bleibt, sind die Fotografien von Dir, wo Du mich 30 mal so »ganz verliebt« anlachst. Wenn Dir etwas auf den Bildern gefällt, so schreib es mir, denn dann will ich Dir doch Vergrößerungen machen. Da ist das Bild I und II, die Reihenfolge geht dann weiter so
Ein Kärtchen ohne Datum, klein wie eine Spielkarte, auf beiden Seiten mit einer engen Schrift in schwarzer Tinte bedeckt, übermittelt einen Kuß - vielleicht den ersten Kuß, den er ihr schreibt, weil er ihn ihr nicht geben kann. Die wirklichen Küsse, die in Bologna diesem papierenen vorausgingen, sind verflogen. Von solchen wirklichen Küssen bleibt denen, die sich da einmal geküßt haben, die Erinnerung, und nachher bleibt von wirklichen Küssen vermutlich nichts. Der papierene Kuß jedoch, den die Post vor sechzig Jahren quer durch Europa beförderte, hat sich erhalten. Lesbar steht er da, eine Berührung, einst zwischen ihm und ihr über die Ferne des Raumes, nun eine zwischen ihnen und uns über die Nähe der Zeiten hinweg.
Zu Beginn des Sommers 1935 lernten sie sich in Bologna kennen
- ein
junger Deutscher aus Königsberg und eine junge Schwedin aus
Stockholm.
Ingeborg Magnusson verbrachte die Ferien in Italien, besuchte Florenz,
Rom, auch Bologna. Rudolf Kaufmann hielt sich schon seit mehreren
Monaten
in Bologna auf, nicht aus Neugier auf Land und Leute, nicht aus freien
Stücken. Ihn hatten die Verhältnisse in Deutschland nach
Italien
verschlagen. Allerdings zu seinem Glück. Denn wäre er im
Sommer
1935 nicht in Bologna gewesen, hätte er Ingeborg Magnusson nicht
kennengelernt...
Einer der Briefe im vollen Wortlaut, dazu der Briefumschlag.