:::::::::::::::: Versammelte
Werke Reinhard Kaisers Elektroarchiv
Königsberg, 8.8.1935
Mein einziges, liebstes Ingelein,
Verzeih, daß ich so lange nicht schrieb. In Gedanken war ich
doch immer bei Dir. Es waren sehr schöne Tage dort ins Georgenswalde
gewesen, an unserer geliebten Ostsee. Wie oft stand ich auf der hohen Steilküste
und schaute nach NW der untergehenden Sonne nach. Und dann rechnete ich
es mir aus, daß dort gerade Stockholm und Mariefred liegen müssen
und der feurige Sonnenball schien mir auf einmal die geliebte Nasenspitze
meiner Pudelin und der rote Himmel das von meinen Haarstoppeln zerkratzte
Angesicht meiner kleinen Frau zu sein. Dann lachte ich wohl hell auf, wenn
ich daran dachte und sandte per Flugpost eine große Partie Küsse
nach Schweden herüber. Und ich bin dessen sicher, daß sie ihren
Empfangsort richtig gefunden haben. Und jetzt hier in Königsberg fand
ich Deine lieben Briefe und Karten vor und war sehr glücklich darüber
und fand auch den Bestätigungsschein all der abgeschickten Küsse.
Ach, wärst doch Du wirklich hier in Georgenswalde gewesen, wie hätte
Dir das gefallen. Da fehltest Du mir gerade so richtig. Da geht der schöne
Wald bis ans Meer heran. Alles ist so frisch und grün. Da wären
wir wohl den ganzen Tag alleine herumgelaufen, hätten uns über
jeden Baum, jeden Pilz gefreut, hätten vor Freude das Essen und Trinken
vergessen, weil wir uns beide gehabt hätten. Wir armen, dummen Menschenkinder,
da sitzt nun der eine in Stockholm, der andere in Königsberg. Und
ein jeder möchte beim andern sein. »Es waren zwei Königskinder,
die hatten einander so lieb. Sie konnten zusammen nicht kommen, das Wasser
war viel zu tief.« So heißt das Gedicht. Doch heute, bei all
den modernen Verkehrsmitteln, da müßte es doch möglich
sein, daß wir uns treffen könnten. Nun will ich mich ordentlich
umschauen, ob wir [uns] nicht wenigstens an einem Septembersonntag in Gotland
treffen können. Irgendwie muß das doch gehen. Mit meinen Zukunftsaussichten
steht es noch nicht viel besser. Ich habe in einer Berliner und [einer]
Frankfurter Zeitung noch ein allgemeines Inserat losgelassen. Vielleicht,
daß sich da jemand meldet. Meine Bitte nach Kolumbien ist weitergeleitet.
Da heißt es halt abwarten. Wegen der Überfahrt habe ich wenig
Bedenken. Denn durch eine nichtarische Reederei in Stettin könnte
ich wohl für billiges Geld nach Südamerika fahren. Doch das ist
ja alles noch Fantasie. Ingelein, mein einziges, ich bin Dir ja so dankbar
für all Deine große Liebe. Wie hab ich da lachen müssen,
als Du mir schriebst, Du hättest in Rom bereits meine Nase feucht
geküßt. Doch eigentlich bin ich ja wieder schuld. Denn wie komme
ich dazu, einer mir kaum bekannten, jungen Dame so ohne weiteres mein Bild
zu schicken? Das war ja eigentlich eine sehr große Frechheit von
mir. Doch das hast Du, glaube ich, schnell durchschaut und alles gleich
verziehen. Wir sind nun eben mal zwei große Sünder und fühlen
uns sogar wohl dabei. In Königsberg habe ich meine Freunde Wolfgang
und Benno wiedergetroffen. Die sind ja noch sehr nett. Aber ich merke es
doch an, daß ich Ihnen durch meine Nähe nur Unannehmlichkeiten
machen würde. Der Klatsch ist ja so riesengroß. Du weißt
gar nicht, wie. Und über all diese Dinge, da will ich gar nicht schreiben
und Du mußt es auch nicht. Ich bitte Dich drum. Es könnte sonst
jemand anderes alles aufschnappen. Ich werde darum hier ganz zurückgezogen
leben und mit wenig Menschen zusammenkommen. Ich bins ja schon bald gewohnt.
Um so mehr werde ich in Gedanken bei Dir sein. Was uns die Zukunft bringen
wird, darüber wollen wir jetzt gar nicht so viel nachdenken. Ich freue
mich, daß Du mit Greta und Birgit so schöne Tage verlebt hast.
Da wird es ja ganz lebhaft zugegangen sein. Da hast Du sicher wieder von
mir vorgeschwärmt. Und eigentlich ist da ja gar nichts zu schwärmen.
Höchstens, daß ich viel Bartstoppeln und bald auch eine Glatze
habe. Wenn Du kleiner Strolch davon erzählst, so nehme ich Dir das
wenig übel. Dafür werde ich hier erzählen, daß meine
Frau eine rote Nase und ein Pudelgesicht habe. Dann werden sie sicher sehr
eifersüchtig werden.
So, mein liebes Frauchen, mitt egen älskling, mia
cara, piccola signora, so jetzt küß ich Dich so fest, daß
Du wirklich ganz laut schreist und doch hilft Dir da kein anderer, weil
wir ja beide nur ganz allein in der Welt existieren und zur Strafe darfst
Du mich dann auch küssen, solange Du willst. Grüß mir Stockholm,
Greta, Bengt, Birgit und nimm einen Waggon heimlich geschmuggelter Küsse
mit von Deinem ege
Rudolf
chiusa con baci - geschlossen mit Küssen.
Ankunftsstempel: Stockholm 10.8.35