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Mein elektronischer Schreibtisch
Einleitung - Das Ausmaß der Zumutungen

Vermessung meiner Vermessenheit  /  Den Computer gefügig machen  /  Kulturrecht auf Faulheit  /  Umgang mit Umwälzungen  /  Vom Ungenügen der Handbücher.

Vermessung meiner Vermessenheit
Es wäre vermessen, den eigenen Schreibtisch zum Modell für andere zu machen. Aber über den Schreibtisch schlechthin läßt sich kaum sinnvoll reden — auch nicht über den elektronischen. Wer an einem Tisch schreibt, der hat ihn sich auf seine Weise eingerichtet. Kein Schreibtisch ist wie der andere. Auch ich sitze an meinem, dem einzigen, auf dem ich mich einigermaßen auskenne, und frage mich, ob das, was ich über die Ordnung und Unordnung auf diesem Tisch, über die auf ihm und in seiner näheren Umgebung anzutreffenden Gerätschaften und den Umgang mit ihnen in Erfahrung gebracht habe und sagen kann, für andere, die an anderen Schreibtischen schreibend sich bemühen, überhaupt von Interesse ist.

Jedenfalls will ich niemanden zur Schreibtischelektronik überreden oder bekehren. Mir ist der Wechsel von der elektrischen Schreibmaschine zum Computer, im ganzen gesehen, zwar ab dem dritten Tag vorteilhaft für meine Arbeit erschienen. Doch Bleistift, Kugelschreiber, Füllfederhalter und Schreibmaschine stehen nach wie vor zur Verfügung. Es wäre vermessen, andere Schreibende über das, was ihnen wirklich nützlich sei, belehren zu wollen und ihnen in die Wahl ihrer Mittel hineinzureden. Leicht soll das Schreiben von der Hand gehen. Das wünscht sich wohl jeder, der schreibt. Aber wie diese oft nur schwer zu erreichende Leichtigkeit am ehesten gewonnen wird, muß jeder selbst herausfinden. Der Computer eröffnet in dieser Hinsicht gewisse Chancen. Er bietet jedoch keine Garantie — so wenig wie irgendein anderes Schreibgerät. Und mit dem Spektrum der Möglichkeiten erweitert sich das Ausmaß der Zumutungen.

Jeder, der schreiben kann, ist irgendwann einmal ausgiebig über das Schreiben belehrt worden: über die Gestalt, die die Buchstaben annehmen sollen, und darüber, wie sie auf der Tafel, auf dem Papier aneinanderzureihen seien und wie die Hand dabei den Griffel, den Stift, den Füllhalter zu führen habe. In seinen Anfängen ist das Schreiben umlagert von Regeln, Vorschriften, Verbindlichkeiten. Aber irgendwann, wenn aus Kleckserei und Drill Gewohnheit und Fertigkeit geworden sind, treten das Müssen und das Sollen zurück und die Selbstbestimmung hervor. Die elementare, von aller Welt nach den gleichen, allgemein gültigen Regeln geübte Tätigkeit des Schreibens wird nun wie nur wenige andere (das Lieben vielleicht) üppig umlagert von individuellen Prägungen. Wie leicht oder schwer es in Gang kommt und im Fluß bleibt und bis zu welcher Höhe des Gedankens es sich aufzuschwingen vermag, hängt für jeden Schreibenden, gleichgültig, ob er über einem Buch, einem Brief, einem Zeitungsartikel, einer Dissertation oder irgendeinem anderen Schriftstück sitzt, von allerlei verwickelten Voraussetzungen ab. Stimmungen, Gewohnheiten, Vorlieben, Eigenheiten kommen ins Spiel und wirken an Fortgang und Gelingen nachhaltig mit. Mit den Belehrungen hat es nun ein Ende. Zum Glück.

Beim Erscheinen des persönlichen Computers auf dem eigenen Schreibtisch jedoch steht das Schreibenlernen plötzlich wieder auf dem Tagesplan — anders zwar als einst in der Schule, doch der Stoff, den es diesmal zu erarbeiten gilt, ist wiederum von erheblichem Umfang und jedenfalls anspruchsvoller als das, was beim Auftauchen der Schreibmaschine zu trainieren war. Der Computer ist nicht nur Schreibgerät, sondern auch Dokumentenarchiv. Und er hat obendrein das Zeug, sich auf verschiedenen Nachbargebieten nützlich zu machen: als Gedächtnisstütze und Rechenmaschine, als Planschmiede und Bilderlabor, und dort, wo er mit dem Internationalen Netz verbunden wird, taugt er womöglich als Such-, Sende- und Empfangsapparat für Botschaften und Auskünfte dieser oder jener Art. Wer ihn auch nur in einer von diesen Funktionen nutzen will, der sollte sich durch kernige Ermunterungen wie »Anschalten und loslegen!« nicht darüber hinwegtäuschen lassen, daß ihm die Bewältigung eines größeren Lernprogramms bevorsteht.

Zwar tritt der Computer von Anfang an als Befehlsempfänger auf und rührt sich ja auch wirklich nicht, solange ihm kein Befehl erteilt wird. Aber er ist es, der die Regeln mitbringt, nach denen dieses Befehleerteilen zu geschehen hat. Er gibt sie vor und ahndet ihre Nichtbeachtung durch Stillstand, Fehlermeldung oder Versagen. Auf diese Weise erfährt derjenige, der sich einen Computer dienstbar machen will, zunächst einmal, wie auch der elektronische Knecht dem inkompetenten Herrn — und natürlich auch der Herrin — überlegen sein kann, und muß erst lernen, nach welchen Vorschriften er welche Befehle überhaupt erteilen kann. In dieser Phase wird der künftige Befehlshaber wenn schon nicht zum Befehlsempfänger, so doch zum Be-Diener herabgestuft. Niemand, der schreiben schon gelernt hat, muß sich das noch einmal antun. Es liegt aber an ihm, wie weit er im Laufe der Zeit über diese Stufe seiner Erniedrigung hinauskommt.

Den Computer gefügig machen
Wem danach ist, kann es in dieser Beziehung weit bringen. Der PC ist in seinen »harten« und mehr noch in seinen »weichen« Bestandteilen ein Instrument, das sich in vieler Hinsicht formen und kneten läßt. Mehr noch, er fängt erst wirklich an zu funktionieren, wenn sein Benutzer ihn den eigenen Zwecken und Anforderungen anpaßt. Die Voreinstellungen, die die Geräte und die Programme mitbringen, wenn man sie nach dem Kauf zum erstenmal anschaltet, sind nicht unbedingt das maßgebliche und schon gar nicht das letzte Wort — sie sind eigentlich nichts weiter als ein Beispiel dafür, wie der PC eingestellt sein kann. Sie sollen die Phase überbrücken, in der der ungeübte, unerfahrene Nutzer, der noch gar nicht recht weiß, was ihn erwartet und was er erwarten kann oder darf, nach und nach Ansprüche und Wünsche entwickelt, den Umgang mit Maus und Tastatur, das Erscheinungsbild seiner Programme, ihr Funktionieren und Zusammenwirken betreffend. Wer es ein für allemal bei dem beläßt, was er beim ersten Anschalten des PC oder nach der ersten Installation eines neuen Programms vorfindet, der verzichtet auf einen erheblichen Teil des Nutzens, der ihm aus seinen neuen Erwerbungen erwachsen könnte.

Fertigkeit und Findigkeit im Umgang mit dem Computer sind also für den, der ihn sich zum Schreibgerät und zum Helfer auf Nachbargebieten gewählt hat, nicht Selbstzweck, sondern Schreibunterlage — Basis der eigenen Arbeit. Sie garantieren das Gelingen nicht, aber sie begünstigen es, und das Schauspiel der freaks und fans, die der Mitwelt unentwegt mit der Leistungsfähigkeit ihrer Rechner und ihren eigenen Leistungen an keybord und terminal in den Ohren liegen, sollte niemanden, den solche Prahlereien abstoßen oder kindisch anmuten, davon abhalten, sich selbst so kundig wie nötig oder möglich zu machen. Durch Erweiterung des eigenen Computerwissens und Vermehrung der eigenen Geschicklichkeit beim Handhaben von Befehlen und Funktionen macht sich der besonnene PC-Nutzer mit den Angebern noch lange nicht gemein. Er hilft sich selbst. Er verbessert die eigenen Chancen, den Kopf freizubekommen oder freizuhalten.

Kulturrecht auf Faulheit
Seit jeher gehören zum Schreiben Routinen, von denen sich, wenn sie einmal ausgebildet sind, ohne Not so leicht niemand mehr abbringen läßt, denn sie tragen zu der erwünschten Leichtigkeit des Formulierens erheblich bei. Jeder Schreibende hat ein Kulturrecht auf Faulheit — wenn schon nicht im Hinblick darauf, daß er schreibt und was er schreibt, so doch gewiß in der Frage des Wie, im Festhalten an gewohntem Gerät und im Beharren auf einmal erworbenen Gewohnheiten. Jeder hat ein gutes Recht, es sich mit aufkommenden Neuerungen so bequem wie eben möglich zu machen; an allem festzuhalten, was sich für ihn bewährt hat; sich mit dem zu begnügen, was er vorfindet, was er weiß und was er hat. Umwege, auf denen man sich auskennt, führen gelegentlich eher und sicherer ans Ziel, als der kürzeste Weg, den man erst noch erkunden müßte oder der einem aus irgendwelchen Gründen nicht geheuer ist. Wo sich auf einem Schreibtisch das Umständliche bewährt hat, verdient es immer Respekt und nie Geringschätzung. Oft genug geht es leichter von der Hand als die perfekte Bewegung auf der idealen Linie. Das elegante Zehnfingersystem hat wenig Reiz für den, der sich, wie ich, einbildet, er habe es mit zwei Fingern zu hinreichender Virtuosität gebracht.

Alle elementaren und viele der komplizierteren Prozeduren lassen sich am Computer auf mehr als eine Weise ausführen. Zwischen dem Anklicken von Bildzeichen oder Symbolflächen mit der Maus und dem Tippen von Tastenkombinationen ist reichlich Raum für die Ausbildung individueller Gepflogenheiten. Ein Verfahren, das dem einen praktisch erscheint und leicht fällt, läuft den Gewohnheiten des anderen vielleicht zuwider. Deshalb stehen auch viele der Hinweise und Vorschläge in diesem Buch unter einem Vorbehalt. Der Verfasser hätte sie nicht zu Papier gebracht, wenn sie ihm nicht empfehlens- und erprobenswert erscheinen würden. Aber ob sie ins Repertoire der eigenen Gewohnheiten passen und dort nützlich sein können, ob es die Mühe lohnt, sie sich anzueignen, muß jeder für sich herausfinden.

Umgang mit Umwälzungen
Es gibt einen zweiten guten Grund, sich im Hinblick auf das elektronische Schreibzeug gelegentlich des oben proklamierten Kulturrechts auf Faulheit zu erinnern. Wer sich einen Computer zulegt, wird nach einiger Zeit bemerken, daß er es nicht nur mit einem neuen Apparat, neuen Prozeduren und einer neuen Technik aufgenommen hat, sondern auch mit dem Rhythmus und dem Tempo, dem Rasen, in dem sich diese Technik jenseits des eigenen Schreibtischs verändert. Es gibt Beobachter der Szenerie, denen dieses Tempo noch bei weitem nicht ausreicht. Zu fehlerhaft erscheinen ihnen die Programme, zu störanfällig die Apparate, zu umständlich ihre Bedienung. Aus diesem Blickwinkel erwächst der Neuerungsdruck in der Sphäre der Computer aus deren nachweisbarer Unzulänglichkeit. Den gewöhnlichen Nutzer kann dennoch leicht ein Schwindel erfassen, wenn er verfolgt, wie im Halbjahresturnus immer leistungsfähigere Geräte, immer umfangreichere Programme oder Programmversionen auf den Markt stürmen, die jedesmal als unentbehrlich für all jene angepriesen werden, die auch nur halbwegs auf dem Laufenden bleiben wollen. Mit dieser Spielart von Propaganda fertigzuwerden ist nicht die geringste unter den Schwierigkeiten, die man sich mit der Anschaffung eines Computers ins Haus holt.

Wer sich dem Drängen und Drücken unterwirft, ist selbst schuld und muß dafür zahlen. Das Neueste in der Elektronikbranche ist immer auch das unverhältnismäßig Teuerste. Leute, die der bloßen Neuigkeit von Neuheiten wenig abzugewinnen vermögen, können von den Neuheiten der jeweiligen Saison dennoch profitieren. Unweigerlich zeitigt nämlich das Neueste bei seinem Erscheinen eine erfreulich Wirkung: den Preisverfall des ehemals Neuesten, das nun ein wenig älter geworden ist, aber deswegen noch längst nicht zum alten Eisen gehört. Niemand ist gezwungen, immer auf dem neuesten Stand zu sein — und Leute, die auf dem Computer vor allem schreiben, schon gar nicht. Unter allen Computer-Nutzern können sie es sich am ehesten leisten, angesichts des Trubels Ruhe zu bewahren und die Szene gelassen zu beobachten. Digitalisierte Schriftzeichen, selbst wenn sie in großen Schwärmen auftreten, beanspruchen die Kapazitäten der Elektronenrechner weit weniger als digitale Bilder oder Töne. Die schnellsten und größten, die neuesten und teuersten PCs werden heutzutage von den Kindern zum Spielen benötigt, nicht von schreibenden Leuten für die Arbeit.

Andererseits ist es nicht ratsam, die Bewegung, in der sich die gesamte Sphäre befindet, und den Neuerungsdruck, der von ihr ausgeht, einfach zu ignorieren. Dort, wo es nur um mehr vom Gleichen, mehr Speicherplatz oder einen größeren Bildschirm oder eine höhere Taktfrequenz des Prozessors geht, kann man gelassen überdenken, ob man an den jeweils neuesten Segnungen teilhaben oder sich mit denen von gestern oder vorgestern begnügen will. Wachsamkeit ist aber geboten, wo sich Entwicklungssprünge abzeichnen, wo zum Beispiel neue Diskettenformate, neue Speichermedien allgemeine Verbreitung finden und ältere Standards über kurz oder lang verdrängen. Ein CD-Laufwerk, das vor wenigen Jahren noch als Luxus galt, gehört heute zur Grundausstattung des Computers, und wer über keines verfügt, der ist von den Möglichkeiten, die etwa die Enzyklopädien und Textarchive auf den Silberscheiben bieten, bereits abgeschnitten und könnte über kurz oder lang auch von der Zufuhr neuer Programme so abgeschnitten sein wie derjenige, der es in seinem PC von vor zehn Jahren bei einem 5 1/4 Zoll Diskettenlaufwerk belassen hat. Wer sich mit dem Computer einläßt, kommt nicht umhin, von Zeit zu Zeit Umwälzungen kleineren oder größeren Ausmaßes auf dem eigenen Schreibtisch einzuleiten. Es ist jedesmal eine Zumutung. Aber daß sich daran etwas ändern könnte, läßt sich nicht absehen.

Der PC ist ein vielseitiges, wandlungsfähiges Gerät, das zu manchem taugt — ein elektronisches Schweizermesser, das allerdings die unliebsame Eigenschaft besitzt, eines seiner vielen Werkzeuge gelegentlich von selbst aufzuklappen, und zwar das am wenigsten erwünschte von allen: die Nervensäge. Der Computer setzt die Bereitschaft des Nutzers, sich auf Neues einzulassen und den Umgang mit diesem Neuen immer wieder aufs neue zu erlernen, bisweilen großen Strapazen aus. Wer am Computer arbeiten, schreiben und nicht immer nur ihn selbst und seine jeweils neuesten Möglichkeiten erkunden und erproben will, dem bleibt gar nichts anderes übrig, als sich gegen seine Aufdringlichkeit und seine Ansprüche mit Trägheit zu wappnen. Er verschanzt sich hinter dem, was er weiß, erbaut sich an dem Gedanken, daß er mehr nicht wissen will und nicht zu wissen braucht, und erfreut sich an der Vorstellung, daß der PC ein Instrument ist, von dem ohnehin keiner, der sich seiner Dienste bedient, alles weiß. Das von solchen Überlegungen gestützte Phlegma ist der Konzentration förderlich und hilft bei der Arbeit — bis zu jenem Punkt, an dem sich nützliche Trägheit und konzentriertes Nicht-Wissen-Wollen in verzagte Unbeholfenheit und gewöhnliche Ahnungslosigkeit verwandeln. Es ist nicht leicht zu bestimmen, wann dieser Punkt erreicht ist. Jeder wird ihn für sich ausfindig machen müssen. Und verschiedene Leute werden unterschiedliche Antworten auf die Frage nach seiner Lage geben — schon deshalb, weil Unbeholfenheit und Ahnungslosigkeit ziemlich unklare Begriffe in einer Sphäre sind, in der tatsächlich niemand alles weiß und nicht einmal ganz klar ist, was man alles wissen könnte. Klar scheint mir aber zu sein: wer sich den PC gefügig machen und gefügig halten will, tut gut daran, die eigene Trägheit gelegentlich abzustreifen.

Vom Ungenügen der Handbücher
Leicht wird es Leuten, die sich nach Auskunft und Aufschluß umsehen, von der Computerbranche nicht gemacht. Wer die inneren Hemmnisse überwunden und sich zu einem Ausflug über die Grenzen des Bekannten hinaus aufgerafft hat, der gerät, noch ehe er irgendwelches Neuland erreicht, an äußere Barrieren, die das weitere Fortkommen hemmen und wahrscheinlich auch schon seine ersten Schritte im Umgang mit dem Computer eher behindert als beflügelt haben: die Ärmlichkeit der Informationen, das Elend der Handbücher. Mir scheint, dieses Elend hat im Laufe der letzten Jahre dramatisch zugenommen.

Als ich vor zwölf Jahren mit dem ersten Rechner auch mein erstes Microsoft-Word kaufte — ich glaube, es war die Version 3.0 —, da kamen die Disketten zusammen mit zwei wunderbar soliden, offenbar auf Zuwachs angelegten, jedoch schon gut gefüllten Ringbüchern, in denen, auf kräftigem Papier sorgfältig gedruckt, alles zu lesen stand, was man über dieses Schreibprogramm wissen konnte. Ich fühlte mich vorzüglich behandelt und studierte mein Handbuch fleißig.

Sechs Jahre später — Ergänzungslieferungen zum Word-Handbuch hatten mich aus irgendeinem Grund nie erreicht — kaufte ich mir einen neuen Computer und zum erstmals installierten Windows auch die damals aktuelle Ausgabe von Word für Windows (6.0). Die beiden stattlichen Ringbücher waren zu einem schlabbrigen Paperback mutiert, das sich mit seinen 900 Seiten im Bücherregal ungestützt nicht aufrechtzuhalten vermochte. Es stand immer noch viel zu lesen darin, doch leider nicht alles, was zu wissen mir nottat.

Gern hatte ich in meiner älteren Version von Word die Möglichkeit genutzt, einfache Berechnungen auf einfache Weise gleich innerhalb des Textes auszuführen. Betrübt mußte ich feststellen, daß die neue Programmversion diese Funktion offenbar nicht mehr »unterstützte«. Unter dem Stichwort »Berechnen« brachte das Handbuch statt dessen allerlei verwickelte Vorschläge zur Verwendung von »Feld- und Tabellenfunktionen« — mit denen sich sehr viel kompliziertere Kalkulationen als bisher ausführen ließen, mit denen aber auch das Einfache nur noch auf abschreckend komplizierte Weise zu bewältigen war.

Resigniert kehrte ich zu meinem Taschenrechner zurück, bis ich eines Tages in einem Buch über Word, das aus dem PC eines unabhängigen Autors stammte, einen Hinweis auf den Verbleib des alten Befehls »Berechnen« fand. Die hilfreiche Funktion war gar nicht untergegangen. Die Microsoft-Programmbauer hatten sie vielmehr aus unerfindlichen Gründen nur versteckt — tief im Inneren von Word, an einer Stelle, wo sie ohne kundigen Beistand kaum mehr aufzufinden war (siehe dazu S. 209). Sie ließ sich heben und wieder flott machen, aber mein Vertrauen in die Brauchbarkeit offizieller Handbuch-Informationen hatte ein schweres Leck davongetragen.

Es ging dann unter, als ich vor einiger Zeit zusammen mit dem kompletten Office-Paket das neue Word 97 erstand. Da gab es nun überhaupt kein Handbuch mehr, sondern für insgesamt fünf Programme, von denen mindestens zwei weitere genauso mächtig und reich an Funktionen sind wie Word, auf rund 700 Seiten nur noch eine konfuse Ansammlung von »praxisnahen Anwendungsbeispielen«, in denen nicht nur nichts zu Ende erklärt wurde, aus denen sich auch nicht einmal ein Überblick darüber gewinnen ließ, was die einzelnen Programme zu leisten imstande sind oder wie sie in ihren Grundzügen funktionieren.

Die Software wird von Version zu Version komplexer und die mitgelieferte Dokumentation im gleichen Rhythmus dürftiger und löchriger — erst recht dort, wo sie beim Kauf eines neuen Computers oder irgendeines Zusatzgeräts als bloße Dreingabe in Erscheinung tritt. Gedruckte Informationen fehlen hier oft ganz, und wie wollte man sie einfordern, wenn einem der Händler auseinandersetzt, was bei knapper Kalkulation noch möglich ist und was nicht, oder wenn man sich schon beim Kauf einer neuen Farbpatrone für den Tintenstrahldrucker mit einer CD voller aufwendiger Bildbearbeitungs- und Textprogramme beglückt sieht, die man, sofern man sich nicht anderweitig das nötige Wissen verschafft, in alle Zukunft nur halbwegs verstehen wird.

Die engen Kalkulationen der Computerbranche gehen oft zu Lasten der Information — sie wird verknappt oder sogar vollständig verweigert. Für sein Schnäppchen zahlt der Kunde mit Unwissenheit, die ihn bei seinem weiteren Umgang mit den elektronischen Geräten und Programmen um so hartnäckiger begleiten wird, je weniger sie ihm auffällt. Viele Möglichkeiten und Fähigkeiten der Geräte und Programme bleiben dann tatsächlich so ungeahnt, wie es die Reklame schon immer behauptet hat.

Die beiden großen Ausreden angesichts dieser Misere lauten: »intuitive Benutzerführung« und »Online-Hilfe«. Die Programme, so wollen uns ihre Architekten weismachen, seien grafisch und typografisch so übersichtlich und einleuchtend gestaltet, daß sie sich weitgehend selbst erklären oder von selbst verstehen. Falls dennoch etwas unklar bleibe, lasse sich der dunkle Punkt jederzeit in der integrierten elektronischen Hilfe auf dem Bildschirm nachschlagen.

Das sind nun allerdings höchst zweifelhafte Behauptungen. Grafische Elemente können zwar helfen, wenn es gilt, sich in der Fülle der Befehle und Optionen zurechtzufinden. Aber auf der »Benutzeroberfläche«, dem Bildschirm, reicht der Platz bei weitem nicht aus, alle oder auch nur die wichtigsten Funktionen in grafischen Symbolen unterzubringen. Außerdem hat das Bestreben, möglichst viele Funktionen und Befehle durch Bilder zu repräsentieren, längst zu einer neuen Unübersichtlichkeit geführt: Hunderte von Piktogrammen wollen uns von selbst einleuchten und zeigen doch nur, daß auch der Verständlichkeit der vermeintlich universalen Bildersprache ziemlich enge Grenzen gesteckt sind. Solche Piktogramme können als Erinnerungsstütze nützlich sein, wenn man begriffen und sich gemerkt hat, wofür sie stehen. Aber sie erklären und erläutern nichts, und ein Handbuch ersetzen sie schon gar nicht.

Als Ersatz für das Handbuch taugt auch die Online-Hilfe nicht. Zwar kann sie bei der Klärung von Einzelfragen hilfreich sein, und jeder, der dies noch nicht getan hat, sollte sich mit ihr vertraut machen, zumal sie in allen Windows-Programmen nach dem gleichen Schema funktioniert und man in diesem Punkt ein für allemal lernt. Aber schon wenn es an die Umsetzung des soeben Erfahrenen geht, ist das Hilfe-Fenster oft genug im Weg und verdeckt eben jene Elemente, auf die man die gefundenen Lösungen anwenden will. Also prägt man sich ein, was die Hilfe Hilfreiches mitzuteilen hat, schaltet sie ab oder verbannt sie in die Task-Leiste, erkennt jedoch im nächsten Augenblick, daß man sich genau das, worauf es ankommt, nicht genau genug gemerkt hat, und muß dafür durch Wiederholung der Prozeduren büßen. Nicht selten schreibe ich mir die entscheidenden Schritte, die in einem Hilfetip angezeigt werden, vom Bildschirm auf ein Blatt Papier ab, um sie anschließend Punkt für Punkt durchzugehen, und ärgere mich jedesmal, daß an der Stelle meines Zettels kein Handbuch aufgeschlagen liegt.

Wie gelassen ein Buch Auskunft über ein Thema zu geben vermag, wird einem schmerzlich klar, wenn man angesichts eines komplexen Programms tatsächlich auf nichts anderes als das Informationsgehäcksel der Online-Hilfe zurückgreifen kann. In einem Buch kann man blättern und stöbern und sogar schmökern, wie dies in der Kartei der elektronischen Direkthilfe kaum möglich ist.

Zum Glück gibt es zu den großen, verbreiteten Programmen mehr oder weniger zahlreiche buchförmige Einführungen, Anleitungen, Tipsammlungen, Handbücher, Kompendien, die davon profitieren, daß die Sofwarelieferanten ihr Angebot in dieser Beziehung veröden lassen. Umfang, Anspruch und Qualität dieser Werke sind sehr unterschiedlich. Oft sind sie von Technikern geschrieben, die so sehr im Jargon der Programme, die zu erläutern sie sich doch vorgenommen haben, aufgegangen sind, daß sie gar nicht mehr erkennen, wo Übersetzungsbrücken zwischen der gewöhnlichen Sprache und der Spezialsprache ihrer Programme gebaut werden müßten. Viele dieser Bücher sind auch von einem naiven Vertrauen in die Funktionalität der dargestellten Programme geprägt. Von dem Vorhandensein einer bestimmten Funktion schließen sie bedenkenlos darauf, daß sie auch tatsächlich nützlich ist oder das leistet, was mit ihr versprochen wird, und verfallen darüber gelegentlich in einen hohen Ton der Anpreisung, der dem Reklameton der Softwarefirmen selbst ziemlich ähnlich wird. Die sogenannte »automatische Rechtschreibkorrektur« wird da leicht zur Garantin vollkommener Fehlerlosigkeit hochgejubelt, während sie doch in Wahrheit nicht mehr ist als eine unzulängliche Hilfe beim Aufspüren der allergröbsten orthographischen Schnitzer. Und die automatische Registererstellung wird als ein Mechanismus präsentiert, der, wenn man ihn nur richtig bedient, brauchbare Schlagwort- und Namenverzeichnisse an unsere Aufsätze und Bücher hängt — eine Behauptung, die nicht selten schon von den Registern, die diesen Handbüchern beigegeben sind, auf deprimierende Weise widerlegt wird.

Dennoch — jedes dieser Bücher ist besser als keines. Fast jedes größere Computerprogramm umfaßt nicht nur mehr Funktionen, als der einzelne Nutzer je nutzen wird, es eröffnet auch mehr Möglichkeiten und mehr Optionen, als er erwartet, und Bücher, so scheint mir, sind besonders gut geeignet, Einblick in die Fülle der Möglichkeiten und, falls erwünscht, einen Überblick über Einzelheiten und Einzelschritte zu gewähren. Es ist angesichts des Umfangs eines großen Schreibprogramms wie Word weder sinnvoll noch erstrebenswert, alle Möglichkeiten, die es bietet, zu studieren oder auszuprobieren. Mehr als eine Ahnung von all dem, was man nicht nutzt, ist nicht erforderlich — doch diese »Ahnung« sollte man haben. Wer Serienbriefe nicht verschicken, ein Schlagwortregister nicht automatisch erstellen, Tabellen in seinen Text nicht einbauen will, der braucht sich bei diesen Funktionen seines Programms auch nicht aufzuhalten. Es genügt, wenn er weiß, daß es sie gibt, und sollte er sie wirklich einmal verwenden wollen, kann er sich immer noch kundig machen — besonders gut in einem Buch.

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Zu den versammelten Werken



Aus: Reinhard Kaiser,  Mein elektronischer Schreibtisch. Ein Lockbuch für alles, die aus ihrem Computer mehr machen wollen, als die Schreibmaschine immer schon war, S. 9-23.
(c) Eichborn GmbH & Co. Verlag KG, Frankfurt am Main, März 1999.